Was zum Lesen! - Kapitel 1



Diese Geschichte schreibe ich selbst. Ich schreibe immer mal wieder ein paar Zeilen dazu. Wenn ich Pech habe, lese ich sie mir aber am nächsten Tag durch und lösche sie wieder... :)
Die grau hinterlegten Zeilen sind erst vor kurzem hinzugefügt.
Das hier ist erst mal ein Ausschnitt. Viel Spaß damit:




Kapitel 1

Resigniert seufzte sie, rückte die Kopfhörer zurecht und drehte die Musik lauter, um von dem Lärm im Bus nichts mehr hören zu müssen. Wenn sie so dasaß und aus dem Fenster sah, versank sie in ihrer eigenen Welt. Sie dachte an die vergangenen Wochen zurück und ihre Laune verdüsterte sich. Warum musste ausgerechnet immer alles Schlag auf Schlag kommen?!
Draußen fiel das Sonnenlicht durch das grüne Blätterdach des Waldes und hinterließ helle Flecken auf dem Waldboden. Wie lange war sie nicht mehr im Wald gewesen? Dort fand sie meistens Ruhe und vor allem Stille. Und die war in dem überfüllten Bus mit 5. und 6. Klässlern wirklich Mangelware... Aber durch den Schulstress, den Streit mit Marry und die vermehrte Arbeit an ihrem Projekt hatte sie gerade noch genug Zeit gefunden, halbwegs ausreichend zu schlafen. Halbwegs. Sie unterdrückte ein Gähnen.
Und dann war noch die Trennung von Sam dazu gekommen. Das hatte ihr beinahe den Boden unter den Füßen weggerissen, wären da nicht Jake und Emma gewesen, die alles daran gesetzt hatten, sie abzulenken. Jedoch war ihre Mühe binnen 5 Minuten zerstört worden, als ihr Vater wieder einmal eine seiner verletzenden Reden am Esstisch geschwungen hatte. Das hatte ihr nicht nur den Appetit, sondern auch die Lust an jeglichen weiteren Gesprächen mit ihren Eltern verdorben. Seitdem vermied sie es tunlichst, sich länger als zwingend nötig Zuhause aufzuhalten.
Der Bus bog aus dem Wald ab und die ersten Häuser der Vorstadt wurden sichtbar. Diese neue Siedlung entsprach so ziemlich dem Musterbild aller gepflegten „Suburbs“, wie ihre Mutter gern zu sagen pflegte.
So in Gedanken versunken, verpasste sie beinahe auszusteigen. Hastig griff sie nach ihrem Rucksack, schob das Handy in die Hosentasche und sprang auf, wobei sie sich den Kopf an der Gepäckablage stieß.
Diesmal beeilte sie sich sogar nach Hause zu kommen, denn so, wie sie ihre Eltern kannte, hatten sie für das Wochenende viele Aufgaben für sie und sie wollte einen Großteil davon möglichst heute noch erledigen, um später mehr Zeit für sich zu haben. Also schlug sie den Weg an den gepflegten Vorgärten vorbei zum hinteren Gartentor des Grundstücks ein, auf dem das kleine Einfamilienhaus ihrer Eltern stand.
Als sie die Wohnung betrat, hörte sie ihre Eltern in der Küche sprechen. Ihre Mutter hörte sich seltsam aufgebracht an und in der Stimme ihres Vaters schwang unverkennbar der bittere Klang von Zorn mit, der sie erschaudern ließ.
Sie ließ ihren Rucksack leise neben der Kommode auf den Boden fallen und schlich mit Schuhen durch den Flur. Als sie die Küchentür öffnete, fuhren ihre Eltern erschrocken zusammen. Sie murmelte ein „Hallo“ und lief zur Theke, um sich einen Saft einzuschenken. Sie spürte, wie ihr Vater sie scharf ansah, und als sie sich umwandte, blickte ihre Mutter auf den Boden.
   „Was ist?“, fragte sie.
Ihre Mutter wurde bleich und die Miene ihres Vaters verdüsterte sich noch mehr. Cat wurde flau im Magen.
   „Hab ich irgendwas angestellt, oder ist irgendjemandem was passiert?“
  „Nein, Schatz. Es ist nur... wir wollten sagen...“, setzte ihre Mutter an, doch ihr Vater unterbrach sie unwirsch.
   „Nichts. Es ist gar nichts!“
   „William, denkst du wirklich, dass...“
   „Ja, das denke ich! Und jetzt endlich Schluss damit.“, fuhr er seine Frau an.
  „Ich bin immer noch hier.“, meldete sich Cat wieder zu Wort. „Ich würde gern wissen, was los ist! Ihr verschweigt mir doch etwas... Bitte, redet mit mir!“
Sie beobachtete, dass ihre Mutter immer angespannter wurde. Sie war bleich und saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl. Ihr Blick schweifte nervös hin und her. Schließlich schien sie es nicht mehr auszuhalten:
   „Du bist nicht... Wir... wir... Du bist nicht unsere Tochter.“
   „Schweig!“, schrie ihr Vater, doch es war zu spät.
Die Worte schlugen über ihr zusammen, wie eine riesige Welle. Sie schnappte nach Luft, spürte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich, wie sich alles um sie herum auf einmal drehte und die Welt zu verschwimmen begann.
   „Was?!“, keuchte sie.
Ihr Vater war aufgesprungen und umklammerte die Lehne des Stuhls, als wolle er ihn erwürgen. Ihre Mutter hob den Kopf und sah sie an. Tränen standen in ihren Augen. Der Mensch, den sie Papa genannt hatte, antwortete als erster:
   „Du hast uns sehr wohl verstanden.“
Ihre Mutter machte Anstalten, um den Tisch herum, auf sie zu zukommen, aber Cat wich nur atemlos zurück. Ihr Kopf schien sich zu drehen. Hilflos stand sie mitten im Raum und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, aber es war, als wäre in ihrem Kopf ein loderndes Inferno ausgebrochen, dass gerade alles vernichtete, an das sie sich krampfhaft zu klammern versuchte. Sie sah auf.
Ihre „Mutter“ stand da, sah sie hilflos an und streckte eine Hand langsam nach ihr aus. Aber mit einem Ruck fuhr Cat zusammen und schrie plötzlich, sodass ihr Gegenüber überrascht einen Schritt zurück machte.
   „NEIN!“, schrie sie aus Leibeskräften.
Dann schoss mit einem Mal das Adrenalin in ihre Adern und sie stürmte aus der Küche durch den Flur und durch die Haustür. Hinter ihr schrie ihr Vater etwas, aber das Blut rauschte so laut in ihren Adern, dass sie es nicht verstand. Wie ein gehetztes Tier stürmte sie die Auffahrt hinunter und die Straße entlang. Die Welt verschwand hinter einem grauen Vorhang. Sie rempelte ein paar Menschen auf dem Bürgersteig an, überquerte vor einem hupenden Auto die Straße und rannte in einem blinden Zickzack durch Straßen und zwischen Häusern entlang. Irgendwo hinter ihr bellte ein Hund und ein paar Rentner, welche am Gartenzaun standen und miteinander sprachen, hoben verwundert die Köpfe, als sie, wie eine Furie an ihnen vorbei stürmte. Cat wusste weder wohin sie lief, noch was sie eigentlich wollte, aber ihre Füße rannten einfach weiter. Nach einigen weiteren Abbiegungen ließ sie sich schließlich auf eine Treppe vor einem Plattenbau fallen.
Wie lange sie dort gesessen hatte, wusste sie nicht. Es war, als hätte sie jemand ihres Bewusstseins beraubt. Wie in Trance starrte sie auf den gepflasterten Weg vor sich. Ein Paar Sneakers traten in ihr Blickfeld.
   Sneakers, dachte sie. Und nach einer gefühlten Ewigkeit realisierte sie, dass zu den Schuhen ein Mensch gehören musste, der da vor ihr stand. Im selben Moment drang auch seine Stimme an ihr Ohr.
   „Cat! Cat, antworte mir! Kannst du mich hören? Was ist los mit dir?“
Endlich schaffte sie es, ihren Kopf zu heben und ihn anzusehen. Seine Augen glänzten, als versuche er gegen Tränen anzukämpfen, dadurch erschien ihre Farbe noch intensiver. Cat war schon immer beeindruckt von ihnen gewesen, doch nun sorgte das leuchtende Grün dafür, dass ihr der Atem stockte.

Jake hasste solche Tage. Es wurde nichts fertig. Nachdem er heute Morgen die halbe Stadt bereist hatte, um lästigen Formalitäten nachzugehen, hatte er versucht, sich zuhause an seinem Rechner wieder seiner Arbeit zu widmen. Aber er hatte sich seit dem Mittag nicht mehr konzentrieren können und so hatte er, fiel ihm doch endlich ein Satz ein, jenen nach kurzer Zeit wieder gelöscht. Seufzend stand er auf, um sich einen Kaffee zu machen.
Mit der Tasse in der Hand stand er an dem großen Fenster in seinem Wohnzimmer und beobachtete das Geschehen unten auf der Straße. Es entspannte ihn, einfach nicht darüber nachzudenken, was er da sah, sondern den Geist schweifen zu lassen.
Auf dem kurzen Stück Rasen zwischen der Straße und dem Wohnkomplex, spielten ein paar Kinder. Die Eltern standen abseits und unterhielten sich. Doch plötzlich wurde die Ruhe gestört.
Quer über die Straße, sprintete eine junge Frau mit feuerrotem, zerzaustem Haarschopf. Ohne nach links oder rechts zu sehen, lief sie in einem wilden Zickzack über den Bürgersteig und achtete dabei weder auf Passanten noch auf andere Hindernisse. Gerade war sie einer Mülltonne knapp ausgewichen, als sie mit einem der Erwachsenen zusammenstieß. Jener rief empört etwas, doch sie achtete gar nicht darauf, sondern taumelte nun weiter. Vor dem Treppenaufgang des Hauses schließlich blieb sie wie vom Donner gerührt stehen und starrte vor sich hin. Dann sank sie scheinbar schwerelos, wie ein Blatt im Herbst auf die Stufen hinab und blieb dort wie versteinert hocken.
Gerade als Jake sich innerlich für diese Metapher loben wollte, begriff er. Er rannte zum Fenster im Flur, um sich zu vergewissern, aber er hatte sich nicht getäuscht. So schnell er konnte, stellte er die Tasse in die kleine Küche, fuhr in seine Sneakers, schnappte sich seinen Hausschlüssel und schlug die Wohnungstür hinter sich zu.

Unten vor dem Haus angekommen, saß sie immer noch auf den Stufen und rührte sich nicht. Er lief um sie herum und stellte sich vor sie, doch sie reagierte nicht darauf; starrte nur auf seine Schuhe, als seien sie das Seltsamste, was sie je gesehen hatte.

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