Dienstag, 14. Januar 2014

Herzschlag

Diese Kurzgeschichte habe ich für eine Freundin geschrieben, ohne die ich während des Unterrichts wahrscheinlich verrückt geworden wäre! ;)
Danke an dich, Sandra und lass dich noch gut feiern!

Dumpf wummerten die Schläge in seinen Ohren. Alle anderen Geräusche wurden gnadenlos davon übertönt. Und mit einem Mal tauchten aus der Schwärze vor seinen Augen verschwommen die Bilder der Vergangenheit auf:
Er hatte SIE gefunden. Aus der schier unendlichen Masse von Menschen hatte er sie entdeckt und es nach langen, mühsamen versuchen geschafft, sie an sich zu binden. Doch selbst, als er ihr den Ring an den Finger gesteckt hatte, wusste er, dass sie beide keine Ruhe haben würden. Der Kampf dauerte unerbittlich an. Er war Paris, sie war Helena, sein Leben war Troja. Er hatte sich mit einem Herrscher angelegt, der mächtiger war, als er selbst und nur würde er dafür büßen müssen.
Angefangen hatte der Terror nach der Hochzeit damit, dass sie erkrankte und obwohl er sonst nicht mittellos gewesen war, niemand bereit gewesen war, sie zu behandeln. Das Krankheitsbild hatte sich immer weiter verschlechtert. Er sah ihr Glück schon durch seine Finger rinnen, als sich in letzter Minute die Möglichkeit bot, nach Europa zu fliehen. Er legte ihnen beiden eine neue Identität zu, verkaufte alles, was er noch hatte und behielt es in bar bei sich, weil er fürchtete, die Schergen und Schmiergelder des Dritten würden die Kooperation seiner Bank beeinträchtigen.
So kamen sie gehetzt und eingeschüchtert aber nicht gebrochen in Europa an. Er mietete eine Wohnung in einer kleinen Küstenstadt und suchte nach Arbeit, was ihm dank seiner Qualifizierung schnell gelang. Mit unendlicher Erleichterung stellte er fest, dass sich ihr Zustand langsam, aber konstant verbesserte. Aber jede kleine Unregelmäßigkeit in ihrem scheinbar perfektem Leben erregte ihrer beider Argwohn. Wie gehetzte Tiere schärften sie ihre Sinne auf alle möglichen Anzeichen darauf, dass ihre Vergangenheit sie in Form des Dritten eingeholt hatte. Das verhinderte aber auch, dass alle Kontakte, die sie knüpften und die ihnen womöglich geholfen hätten auf lange Sicht hin verloren gingen.
Ihre Sorge ging sogar so weit, dass er sich bereit erklärte ihr eine Waffe zu besorgen. Sie nahm einige Stunden am Schießstand und irgendwann zitterten ihre Hände nicht mehr, wenn sie die Waffe in die Hand nahm. Er selbst hasste sich dafür, dass er ihr dieses Leben zumuten musste und stellte mit Erschrecken fest, dass sie sich verändert hatte. Die unschuldige, fast heitere Sorglosigkeit war einer kalt glühenden, zur Resignation tendierenden Wut gewichen, die ihren Blick fest und ihre Bewegungen raubtierhaft werden ließ.
Auch wenn sie so längere Zeit in Frieden lebten, dachte keiner von beiden auch nur eine Sekunde daran, die Deckung sinken zu lassen. Im Gegenteil. Er hatte bereits alle nötigen Vorbereitungen getroffen, um beim kleinsten Anzeichen sofort unterzutauchen und alles was sie sich aufgebaut hatten zurück zu lassen. Doch alles blieb still. Vorerst.
Mittlerweile hatte sie sich vollständig erholt und er hatte es geschafft, einen Job in derselben Firma wie er für sie zu organisieren. Also gingen sie jeden Morgen gemeinsam zu Fuß zur Arbeit. Aber eines Morgens schlug der Dritte unvermittelt zu. Es war die Tage vorher sehr heiß gewesen, doch dieser Morgen war drückend und trug bereits alle Anzeichen eines Gewitters in der Luft. Dumpf grollte der Donner und Wolkenberge türmten sich schwarz und gelb wie Schwefel am Himmel.
Beide hatten das Haus verlassen und liefen zügig durch dich Straßen, um noch trocken zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. So kam es, dass er nur mit einem flüchtigen Kontrollblick auf die Straße trat, um die Seite zu wechseln. Zu spät sahen beide den matt schwarzen Wagen, der mit aufheulendem Motor auf sie zusteuerte.
Erschrocken riss er die Augen auf und drehte sich zu dem Fahrzeug um. Sie schrie auf und beobachtete fassungslos, wie der Wagen ihn ungebremst erfasste. Sein Körper knickte an der Hüfte ein, sein Oberkörper schlug auf der Motorhaube auf, während seine Beine nach oben geschleudert wurde. Er rutschte über das Dach und landete brutal auf dem Asphalt. Das Auto raste noch ein Stück weiter, blieb dann aber mitten auf der Straße stehen.
Sie lief zu ihm; er lebte noch.
Die Bilder wurden immer heller und verschwammen, das Dröhnen wurde lauter. Er blinzelte, um besser sehen zu können und blickte in ihr Gesicht. Er hörte seinen Herzschlag, hörte wie der Muskel fast verzweifelt versuchte, seine zerquetschten Organe mit Blut zu versorgen. Sie saß über ihm und schrie irgendetwas, doch er konnte sie nicht hören. Eine unglaubliche, lähmende Kälte befiehl seine Glieder. Er wollte dich bewegen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht; das Einzige was er spürte war diese erschöpfende Kälte, die ihn in eisernen Klauen hielt. Er hörte das Blut durch seinen Körper strömen, doch da war noch etwas anderes. Mit dem Versuch, sich darauf zu konzentrieren, bemerkte er, dass es ihre Stimme war. Sie sprach mit ihm, flehte ihn an, sich nicht der Müdigkeit hinzugeben.
Fast zärtlich redete sie mit ihm, nahm seinen Kopf in beide Hände. Ihre Haut an seiner war die einzige Wärme, die er noch in seinem Körper finden konnte.
Doch plötzlich wirbelte sie herum und schrie markerschütternd auf. Alle Wut, all ihr Hass lag in diesem Schrei. Sie stand auf, riss die Waffe aus dem verstecktem Holster und feuerte mehrere Male. Es folgte ein erstickter Schrei und dann das grausame Echo ihrer eigenen Schüsse. Ein Ruck lief durch ihren Oberkörper.
Sie schaffte es noch, sich zu ihm umzudrehen und ihm in die Augen zu blicken. Ein tiefroter Fleck breitete sich rasch auf ihrem Oberteil aus. Sie nahm sein Gesicht in die Hände und eine Träne fiel auf seinen Brustkorb. Dann wurden ihre Augen leer und sie sank auf ihn herab.
Das letzte bisschen Wärme wich aus ihm und sein Herzschlag drang erneut an seine Ohren, diesmal aber langsamer, fast schleppend. Und mit einem Mal war die Dunkelheit sanft, die Schwärze zart und samten, als sei nichts Schlechtes daran. Er war so müde...
Dankbar ließ er sich in die Finsternis fallen, als sei sie eine alte Gefährtin und sie hüllte ihn ein und verschlang ihn.