Kapitel x ;)

Cat schlug die Augen auf.
Der Raum, in dem sie sich befand, war von einem seltsamen Zwielicht erfüllt, sodass sie es schien, als ob die Luft flimmerte, als sie versuchte Einzelheiten zu erkennen. Eine Welle des Schreckens durchflutete ihren Körper, als sie meinte weit über sich ein steinernes Gewölbe zu sehen. Aber ihre Vernunft versuchte Argumente zu finden, mit denen sie dieses Bild als Illusion darstellen konnte. Flach atmend drehte sie den Kopf zur Seite und Schmerz durchzuckte sie, wurde aber sofort wieder unwichtig, angesichts der Furcht, welche sie erfasste als sie neben sich eine steinerne Wand entdeckte in die ein seltsames Muster eingemeißelt war.
Als sie sich aufrichten wollte, um sich weiter umzusehen spürte sie, dass etwas an der Schulter sie zurückhielt. Vorsichtig drehte sie den Kopf und sah, dass ihr Gewand über die Schulter gerutscht war und ein Riemen aus einem straffen, grünen Stoff sie zurückhielt. Gewand!? Cat blickte an sich hinab und sah sich in einem weißen, weitem Gewand. Außerdem lag eine grüne Decke auf ihren Beinen.
Was war mit ihr geschehen!? Erschrocken lauschte sie in sich hinein. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Ihr Nacken schmerzte und plötzlich nahm sie ein Brennen an den Schläfen wahr. Ihre Beine schienen in Ordnung zu sein, aber sie spürte ein scharfes Stechen und den warmen Druck eines Verbandes an ihrem linken Handgelenk. Etwas Schlimmes befürchtend versuchte sie vorsichtig ihre Finger zu bewegen. Sie biss die Zähne zusammen, als der Schmerz aufbrandete, aber die Fingerspitzen ließen sich bewegen.
Wo war sie hier gelandet!? Als sie ihre Erinnerungen durchforstete, um einen Hinweis darauf zu finden, was das hier war und vor allem, wie sie hierher gekommen war, fand sie nichts. Das Letzte woran sie sich erinnerte war... Was war das Letzte gewesen!? Aus dem Schwarz tauchten unterschiedliche Bilder auf. Einige konnte sie gar nicht zuordnen und die anderen waren zusammenhangslos, wie ein Stapel Blätter, die der Wind durcheinander gefegt hatte.
Toll!, dachte sie sarkastisch.
Ich liege hier, verletzt und gefesselt in einer Gruft herum und kann mich so gut, wie gar nicht mehr erinnern! Sie holte tief Luft um die aufkeimende Panik niederzukämpfen.
  „Bist du wach?“
Die Stimme durchschnitt die Stille wie ein Peitschenhieb unter dem Cat so zusammenzuckte, dass es schmerzte. Sie glaubte den Verstand zu verlieren, als plötzlich wie aus dem Nichts ein hell glühender Funke auftauchte, durch den Raum zu ihr hinüber schwebte und über ihrem Gesicht stehen blieb. Geblendet versuchte sie den Kopf wegzudrehen, aber ihr Nacken protestierte mit einem jäh aufwallendem Schmerz.
Als sich ihre Augen etwas an das Licht gewöhnt hatten, erkannte sie aus den Augenwinkeln eine Gestalt in einem dunklen, langen Gewand.
   „Gut.“, ertönte nun wieder die Frauenstimme. „Wie geht es dir?“
Gute Frage!, dachte Cat. Dazu müsste ich erst einmal wissen, was mit mir los ist...
Die Frau durchschritt den Raum und sah sie scharf an. Dann hob sie die Hände und löste den Mechanismus der Bänder, die sie festhielten. Sie spürte wie der Druck mit einem Mal von ihr abfiel.
   „Du darfst aufstehen.“
Obwohl es wie eine Erlaubnis formuliert war, war dieser Satz ein harter Befehl gewesen, dessen sie sich nicht zu widersetzen wagte. Vorsichtig setzte sie sich auf und schwang die Beine über den Rand der Liege. Inzwischen war es ganz klar. Die Wände, die Decke und sogar der Fußboden bestanden aus Stein. Mit langsamen Bewegungen rutschte sie nach vorn und setzte ihre nackten Füße auf den kalten Boden. Das Gesicht der Frau war zu einer Maske erstarrt und dennoch meinte Cat einen Funken des Erstaunens in ihren Augen zu sehen, als sie ihr Gewicht verlagerte und frei stand.
   „Gut.“, meinte die Frau. „Du bist stark!“
Triumph wallte in Cat auf. Obwohl sie diese Frau seit gerade mal fünf Minuten kannte, wusste sie doch mit einer seltsamen Gewissheit, dass sie von ihr nicht viel Lob hören würde.
Als die Frau ihr einen dunkelbraunen Mantel reichte, spürte sie, wie kalt es in dem Raum gewesen war. Wortlos nahm sie ihn entgegen und schlang ihn eng um ihren Körper. Dabei bemerkte sie ein helles Aufblitzen an ihrem Handgelenk. Sie hatte sich nicht getäuscht, das Gelenk war in eine dünne Mullbinde eingewickelt.
   „Dein Körper hat sehr starke Selbstheilungskräfte! Es war kaum nötig, ihn mit Medikamenten zu stärken.“
Cat musterte die Frau, die ihren besorgten Blick gemerkt zu haben schien. Sie trug Roben aus einem fein gewebten, edlen Stoff, der je nach Lichteinfall ein tiefes Nachtblau bis Schwarz zeigte.
  „Du musst hungrig sein. Komm!“ Damit reichte sie ihr ein paar einfache Schuhe aus Leder und ging in Richtung Tür.
Cat war so überrascht, dass sie ganz vergaß auch nur eine der gefühlten Tausend Fragen zu stellen, die ihr auf der Zunge lagen. Sie folgte ihrer Begleiterin durch ein Gewirr aus Gängen. Ab und zu sah sie durch halb geöffnete Türen und Tore Räume, in denen ebenfalls Menschen in Roben saßen, oder hin und her eilten. Die meisten trugen braune Roben, nur einmal sah sie ein ähnliches Blau, wie das der Frau vor sich, zwischen den wallenden Stoffen aufblitzen.
Nach einem Fußmarsch von einem gefühlten Kilometer blieb ihre Begleiterin vor einem Tor stehen, welches von einem Mann und einer Frau bewacht wurde. Ihre Führerin hob ihren linken Arm und zog den langen Ärmel ihrer Robe zurück, um ihr Handgelenk zu entblößen. Sie streckte der Wächterin die Unterseite entgegen und jene nickte kurz. Das Tor öffnete sich und Cat und ihre Begleiterin schritten wortlos hindurch.
Sie betraten eine kleine Halle mit mehreren Torbögen darin, welche jeweils von einem Mann und einer Frau bewacht wurden.
  „Wo ist Samya?“, fragte die Frau an die nächst stehende Wächterin gewandt.
  „Ich weiß es nicht, Herrin. Ich ließ nach ihr schicken, so wie ihr es gewünscht habt.“
  „Nun, dann wird sie sicherlich gleich hier sein.“
In der Zeit in der sie warteten, fühlte Cat sich immer unbehaglicher. Sie spürte, dass die Wächterin sie mit unverhohlener Neugier betrachtete. Sie zuckte zusammen, als sich in einem Torbogen eine in braune Roben gewandete Gestalt aus der Dunkelheit schälte.
Die Frau kam auf die wartende Gruppe zu und senkte vor ihrer Begleiterin respektvoll den Kopf, wobei sie mit dem linken Handballen die rechte Wange berührte. Jene erwiderte den Gruß mit einem knappen Kopfnicken.
  „Du hattest viel Arbeit?“, fragte sie Samya.
  „Ja, die Krankheit nimmt ungeahnte Ausmaße an. Der Krankenflügel ist beinahe voll.“
 „Ich werde sehen, was ich bewirken kann. Die Administratorin ist sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst. Sie wird Verstärkung schicken.“
Mit einem Ruck wandte sie sich an Cat. Ihre klaren Augen sahen sie aufmerksam an, während sie weitersprach.
  „Samya wird sich bis auf weiteres um dich kümmern.“, und an Samya gewandt:
 „Sie braucht Kleidung, etwas zu Essen und einen Schlafplatz. Unterweise sie außerdem in allen Regeln. Wenn es soweit ist, wird sie jemand abholen.“
Samya nickte zum Gruß, woraufhin sich die Ältere umwandte und mit wallenden Roben davon schritt.
  „Sie ist beeindruckend, nicht wahr?!“
Cat brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die junge Frau sie gemeint hatte. Verlegen lächelte sie zurück. Sie war in der Tat beeindruckt von dem einerseits herrischen aber gleichzeitig auch respektvollem Auftreten der älteren Frau. Aber am meisten beeindruckte sie die Würde und Eleganz, die von ihr ausgegangen war.
  „Komm, ich bringe dich erst einmal in die Quartiere. Du wirst vorerst mit mir in einem Zimmer wohnen. Dort gebe ich dir dann etwas zu Essen. Du musst hungrig sein... Wie ich heiße, weißt du ja schon, aber wie soll ich dich nennen?“
Überwältigt von dem Redeschwall, brauchte Cat erst einmal einen Moment, bevor sie wusste, was sie antworten sollte.
  „Ich heiße Cassandra, aber mir ist es lieber, wenn du Cat sagst.“
Samya lächelte sie warm an. Cat beschloss sie zu mögen.

Sie gingen weiter durch das Labyrinth aus Gängen und Sälen, bogen unzählige Male ab. Cat hatte schon lange die Orientierung verloren, als Samya vor einer bewachten Flügel innehielt und ein paar Worte mit den Wächtern wechselte. Als diese nickten, wandte sie sich zu ihr um.
  „Das hier ist unsere große Bibliothek. Ich hole dir nur schnell eine Kopie des Grundrisses vom Südkomplex. Dort werden wir uns hauptsächlich aufhalten. Warte hier einen Moment, ich bin gleich wieder da.“
  Damit schob sie sich an den Wächtern vorbei und verschwand aus Cats Blickfeld. Ein unangenehmes Schweigen entstand. Der Wächter starrte sie eine Weile mit unverhohlener Neugier an, zuckte aber zusammen, als seine Gefährtin sich leise räusperte. Er wandte seinen Blick wieder geradeaus, lief aber trotzdem rot an. Cat unterdrückte ein leises Grinsen.
  Nach einer Weile kehrte ihre Begleiterin zurück. Sie war beladen mit verschiedenen Büchern. Sie nickte den Wächtern zu und wies mit dem Kopf in den nächsten Gang. Cat folgte ihr.
  „Warum hat mich der Wächter so seltsam angeschaut?“, fragte sie und hätte sich im nächsten Moment am liebsten geohrfeigt. Samya drehte sich zu ihr um und lächelte sie spitzbübisch an. Cat spürte, dass sie rot wurde.
  „Es ist nur noch nie in den letzten 5 Generationen vorgekommen, dass eine Novizin nach nur 3 Tagen bereits vom Aufnahmeprocedere erholt ist. Aber das außergewöhnlichste ist, dass du bereits vorgezeichnet warst...“
Das war zu viel für Cat. Sie blieb mitten im Gang stehen und starrte ihre Begleiterin von hinten an.
  „Wie bitte?“, fragte sie entgeistert.
Endlich blieb auch Samya stehen, drehte sich halb um und antwortete: „Komm erstmal mit in die Quartiere. Wenn wir in unserem Zimmer sind, kann ich dir alles erklären.“
  Obwohl dies nicht die Antwort war, welche Cat erhofft hatte, setzte sie sich wieder in Bewegung und bemühte sich sogar, den Abstand zwischen ihnen zu verringern. Nach einigen Minuten und etlichen Abzweigungen gelangten sie wieder an ein Tor, das von einem Mann und einer Frau bewacht wurde. Cat blieb unschlüssig stehen, während Samya ein paar Schritte auf die Wächterin zuging und diese freundlich begrüßte.
  „Adýa, hallo. Wie geht’s?“
Die Angesprochene antwortete etwas leiser und lachte, als ihr Gegenüber etwas konterte. Cat stand hilflos etwas abseits und blickte unsicher an sich hinunter. Sie fühlte sich unwohl in dem Zeug, was man ihr angezogen hatte. Noch dazu stach sie mit dem hellen Stoff aus der Masse hervor, wie ein bunter Hund. Als sie aufblickte, bemerkte sie, dass Adýas Kamerad sie ansah und plötzlich wurde ihr bewusst, dass er sie bereits in dem Moment fixiert hatte, in dem sie hinter Samya zu sehen gewesen war. Sie beschloss zu kontern und blickte ihm direkt in die dunklen Augen. Aber sein Blick war nicht so penetrant, wie der einer neugierigen Nachbarin – gierig nach neuen Informationen, über die man sich das Maul zerreißen konnte. Es schien ihr fast, als grinste er sie verschmitzt an.
  In diesem Moment unterbrach Samya ihr Gespräch mit Adýa, wandte sich zu Cat um und stellte sie einander vor. Cat blinzelte einen Moment und als sie wieder zu dem Wächter hinsah, war der Glanz des Lächelns aus seinem Gesicht verschwunden. Er schaute sie an, aber seine Miene ließ keine Regung erkennen.
  „Darius und Adýa gehören zu der Gruppe Wächter, die für die Quartiere zuständig sind.“, erklärte Samya.     „Wenn du eine Frage haben solltest, kannst du dich gerne auch an sie wenden.“
Cat warf noch einen kurzen Blick auf Darius, in dessen Augen erneut dieses Glitzern lag und folgte dann ihrer Begleiterin durch das Tor.


  Vor ihnen lag ein Korridor, von dessen Wänden auf beiden Seiten in regelmäßigen Abständen eine Tür abging. Noch bevor Samya es ankündigte, wusste Cat, dass sie sich nun in den Quartieren befanden. Sie gingen noch einige Meter durch die von spärlichen Licht beleuchteten Gänge und hielten dann vor einer dunkel gestrichenen Holztür an, welche Samya öffnete.
   „Darf ich präsentieren: unser gemeinsames Zimmer.“, sagte sie lächelnd.
Damit trat sie ein. Cat folgte ihr erst zögernd und musste überrascht feststellen, dass es innen sehr geräumig war. Dieses „Quartier“ glich einem modernen, kleinerem Apartment. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit zwei Stühlen, und zwei kleine Schränke schufen zwei abgetrennte Nischen in denen jeweils ein Bett stand. Eine ebenfalls dunkel gestrichene Tür führte in ein kleines Bad mit Dusche, Waschbecken und Toilette.
Samya hatte ihre Bücher auf dem Tisch abgelegt. Und beobachtete schmunzelnd, wie ihre Begleiterin sich in dem Zimmer umsah und sichtlich erstaunt war.
  „Erstaunt, oder wie?“, fragte sie mit einem Grinsen.
  „Ja, irgendwie schon... Ich dachte, ich würde wieder in so eine komische Zelle gesperrt werden, wie die in der ich aufgewacht bin.“, antwortete Cat etwas verlegen.
Samya lachte.

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