Cat saß im
Schneidersitz auf Jakes Couch und seufzte resigniert. Seit Stunden
brütete sie über dem mittlerweile ziemlich abgegriffenen Stück
Papier und durchforstete ihr Hirn nach Hinweisen darauf, wo sie diese
Zeichen bereits einmal gesehen hatte. Doch das Einzige, was dabei
herausgekommen war, waren die unerträglichen Kopfschmerzen. Sie
hatte auch bereits darüber nachgedacht, zurück in den Park zu der
hohlen Eiche zu gehen, wo ihr der Text sozusagen vor die Füße
gefallen war. Doch Jake hatte für ein paar Stunden ins Büro gehen
müssen und sie wollte keine zufällige Begegnung mit ihren Eltern
riskieren und so war sie gezwungen gewesen, sich eine andere
Beschäftigung zu suchen, doch die Runen hatten ihr keine Ruhe
gelassen.
Plötzlich horchte
sie auf. Sie glaubte an der Wohnungstür etwas kratzen zu hören.
Adrenalin durchströmte sie, als sie sich leise erhob und barfuß in
den Flur huschte. Tatsächlich hörte es sich so an, als würde ein
spitzer Gegenstand mit Gewalt über den Lack der Tür gezogen. Sie
wagte sich noch näher an die Tür und schaute vorsichtig durch den
Spion. In diesem Moment brach das Geräusch abrupt ab. Draußen war
niemand zu sehen, aber Cat fühlte sich unwohl.
Sie wartete weitere
Minuten, doch nichts tat sich. Schließlich hielt sie es nicht mehr
aus und mit einem Ruck riss sie die Tür auf.
Draußen war alles
still. Das Treppenhaus lag ruhig im Sonnenlicht, welches durch die
Fenster herein fiel und Staub tanzte in den Sonnenstrahlen. Beruhigt
schob sie die Tür wieder zu, als sie plötzlich erstarrte. Ihr Herz
schien einen Schlag auszusetzen.
In den weißen Lack
der Tür waren mit gekonnten Linien dunkel dieselben Runen geritzt
worden, wie sie auf dem Papier zu sehen waren. Entsetzt taumelte sie
einen Schritt zurück und stand nun in den Sonnenstrahlen des
Treppenhauses, als sie einen Stich an ihrem linken Handgelenk. Als
sie herumfahren und dem Schmerz ausweichen wollte, verschwamm alles
vor ihren Augen und sie fiel willenlos und wie gelähmt in die
samtene Schwärze, die sich um sie ausbreitete und sich kalt an ihre
Haut schmiegte.
In dem Moment, in
dem Jake den Wohnkomplex betrat legte sich ein kaltes Unbehagen über
ihn, wie Raureif. Er hatte sich im Büro beeilt, um möglichst
schnell wieder zurück zu können. Ihm war nämlich eine Idee
gekommen. Doch diese Idee verflüchtigte sich wie eine zerplatzte
Seifenblase, als er den obersten Treppenabsatz erreichte und das Bild
realisierte, dass sich ihm bot.
Durch das Geländer
hindurch sah er, dass sie Wohnungstür offen stand. Erst auf den
zweiten Blick sah er die schwarzen Linien, welche unheilvoll von dem
weißen Lack der Tür hervorstachen. Entsetzt sprang er die letzten
Stufen hinauf und sah sie.
Ihre roten Haare
lagen wie ein Kranz ausgebreitet auf dem Boden und rahmten ihr
Gesicht sonderbar grotesk ein. Ihre Haut war totenbleich, die Augen
geschlossen, lag sie seltsam verdreht vor der Tür, als hätte sie im
Fallen eine Pirouette gedreht. In ihrer Rechten hielt sie einen
dunklen, spitz zulaufenden Gegenstand.
Als er an ihrem Kopf
hinkniete, um zu sehen, was ihr fehlte, entdeckte er ein seltsam
verwundenes Muster aus schwarzen Linien an ihrem linken Handgelenk.
Die Haut darum war gerötet, der einzige Hinweis darauf, dass Blut
durch ihren Körper floss, dachte er bitter. Er beugte sich zu ihr
hinunter und stellte mit einer unendlichen Erleichterung fest, dass
sie flach atmete.
Er zog sie
vorsichtig auf seine Arme und trug sie in die Wohnung. Dort legte er
sie auf die Couch und ging zur Wohnungstür. Einer plötzlichen
Eingebung folgend nahm er sich seine Kamera und fotografierte die
eigenartigen Runen. Dann schloss er die Tür sorgfältig ab und ging
zu Cat.
Er schob ihr ein
Kissen unter und breitete die Decke auf ihren Beinen aus. Ihr Anblick
schmerzte ihn. Sie sah so bleich aus, noch viel zerbrechlicher als
gestern. Er dachte an die vergangenen Stunden zurück und war
erstaunt, dass in so kurzer Zeit so viel geschehen kann, was die
eigene Welt so derart aus den Fugen geraten lässt. Nervös stand er
auf, kochte in der Küche Tee, rückte sich den Sessel an der Couch
zurecht und hielt Wache.
Etwas schlich sich
in ihr Bewusstsein und störte den Frieden ihres Schlafes. Verärgert
versuchte sie das Gefühl beiseite zu schieben, doch es funktionierte
nicht. Sie konnte sich an kaum das erinnern, was sie getan hatte,
bevor sie zu Bett gegangen war. Wie spät war sie eigentlich
eingeschlafen? Und wie spät war es jetzt? Sie wollte die Augen
öffnen, doch ihre Lider waren so unglaublich schwer und brannten,
als hätte sie stundenlang mit offenen Augen geschlafen.
In diesem Moment
tauchte ein Bild von Jakes Wohnungstür vor ihren Augen auf und sie
erinnerte sich, dass er gegangen war, um etwas zu erledigen. Sie war
allein in der Wohnung geblieben... Allein. Dieses eine Wort legte
sich wie ein massives Gewicht um auf ihren Körper und ihr Gemüt.
Diese Melancholie drohte sie wieder zu lähmen, doch mit einem jähen
Aufbranden von Zorn holte sie tief Luft und riss die Augen auf.
Sie fand sich
überrascht knapp von Jakes Gesicht entfernt wieder. Er hatte ihren
Kopf auf seinen Oberarm gebettet und den anderen Arm wie zum Tanz um
ihre Taille gelegt. Hinter seinem dunklen, vom Schlaf strubbeligen
Haar sah sie den Terrakotta-farbenen Bezug seiner Couch in der Sonne
leuchten. Ein Schauer überlief ihren Rücken, doch so sehr sie sich
auch gegen die Gedanken wehrte, sie konnte nicht leugnen, dass es
sich gut anfühlte.
Sie musterte sein
Gesicht, er schlief noch. Seine Züge waren fein, und doch durchzog
eine eisige Härte seinen sonst so weichen Ausdruck und störte das
Bild eines friedlich schlafenden jungen Mannes auf eine Art und
Weise, die Cat sonderbar anzog. Seine dunklen Brauen und dichten
Wimpern umrahmten seine Augen und gaben ihnen – das hatte Cat schon
oft fasziniert bemerkt – einen eigenen Glanz, ganz abgesehen von
ihrer intensiven Farbe. Doch nun sah sie nur seiner Lider, zart und
verletzlich. Sie war ganz versunken in ihren Gedanken, als sich seine
Hand an ihrer Seite plötzlich verkrampfte und sich sein Ausdruck
verhärtete. Seine Lieder zuckten und die Unruhe ergriff seinen
ganzen Körper.
Unschlüssig,wie sie
ihn beruhigen konnte, hob Cat den Kopf und beugte sich über ihn. Er
schien regelrecht besessen von dem Albtraum zu sein, sein Atem ging
nun viel schneller und er zuckte plötzlich so heftig zusammen, dass
Cat erschrak und aufspringen wollte, doch stattdessen beugte sie sich
zu ihm hinab und küsste ihn. Sie schloss die Augen und legte in
Gedanken all ihre Kraft in den Kuss, um durch den atemlosen Traum zu
Jake durchdringen zu können. Das Gefühl nahm ihr selbst den Atem,
als sie spürte, wie sie seine warme Hand in ihrem Nacken stärker zu
sich hinab zog.
Er bewegte sich vollkommen lautlos. Die Straße, in die er einbiegen wollte war von so hohen Häusern umgeben, dass sie ganz im Schatten lag. Er lächelte, als er darüber nachdachte. Ein Kinderspiel! Es wäre vielmehr eine Herausforderung für ihn gewesen, wenn die Straße im silbernen Licht des nahezu vollendeten Mondes gelegen hätte. Aber selbst so eine Aufgabe zu meistern hätte er mit seinen Fähigkeiten geschafft.
Leise sprintete er
weiter. Er durfte sich durch nichts ablenken lassen. Auch wenn der
Auftrag einfach erschien, hing dennoch eine Menge davon ab und er
durfte sich nicht den kleinsten Fehler erlauben. Im Kopf ging er
erneut in einem nahezu unendlichem Mantra jeden einzelnen Schritt
seiner Mission durch, während er, die Muskeln eisern angespannt,
über einen Zaun sprang und sich an einem Fenstersims die Hauswand
nach oben zog. Das Fenster war wie geplant nur angelehnt. Der
Außendienst hatte gute Arbeit geleistet. Mit einer fließenden
Bewegung schwang er sich hinein und fand sich in einer leeren Halle
wieder.
Ohne Probleme fand
er die Türen, die ihn in das Treppenhaus und auf das Dach
hinaufführten. Oben angekommen verharrte er kurz auf den vermoosten
Dachziegeln des hohen Gebäudes und schaute auf das niedrigere Haus
gegenüber. Dann überprüfte er die Festigkeit des Schneefanghakens
und holte aus einer der unzähligen verborgenen Taschen seiner Kluft
ein hauchdünnes, im Mondlicht silbern schimmerndes Seil hervor.
Geschickt und mit sicheren, präzisen Griffen wob er daraus ein ein
kunstvolles Netz und verankerte es an mehreren Haken, ehe der das
andere Ende mit mehreren Schlaufen hinab auf das andere Dach warf und
dort sicher einhängte. Dann nahm er einige große Schritte Anlauf
und drückte sich mit einem leisen Knacken von der Dachkante ab. Mit
einem einzigen eleganten Satz überwand er gut die Hälfte der
Schlucht zwischen den beiden Häusern.
Kurz bevor er fiel,
griff er nach dem Gespinst, dass sich zwischen den beiden Häusern
spannte. Zügig überwand er den Rest der Strecke und landete federnd
auf dem Dach des kleineren Hauses. Nun musste er nur noch die
richtige Stelle finden. In seinem Kopf begann erneut das Mantra
seiner Vorgehensweise. Er schloss die Augen und bewegte sich blind
über das Dach, voll darauf vertrauend, dass die Präzision seiner
Bewegungen bis auf Millimeter genau trainiert war. Schließlich hielt
er inne und öffnete die Augen. Vor ihm lag das Dach noch immer im
silbernen Licht des Mondes.und bis auf eine kaum merkliche
Unregelmäßigkeit, lag das Muster der Dachziegel wie konstruiert vor
ihm.
Er bückte sich und
schob den ihm anvertrauten Gegenstand in den verborgenen Spalt
zwischen den Ziegeln. Hier würde niemand danach suchen, es sei denn,
der Suchende hatte gezielte Hinweise erhalten, wohin er sich wenden
musste.
Er holte tief Luft.
Der erste Teil seines Auftrages war erledigt. Jetzt musste er
aufpassen, dass sich nichts verzögerte. Die Folgen könnten
katastrophal sein. Leichtfüßig lief er über das Dach und riss mit
einem kräftigen Ruck an den Seilen, welche noch immer dort hingen,
wo er sie befestigt hatte. Die Schlaufen an den Schneefanghaken des
höheren Daches lösten sich und das Seil glitt durch seine Hände
und fiel die Hauswand hinunter. Nun stand er mit dem Rücken zur
Dachkante und genoss die folgenden Sekunden wie in Zeitlupe. Er
atmete ein, packte das Seil und ließ sich rückwärts über die
Kante in die Dunkelheit fallen.
Staub, Regale,
Bücher. Ein alter abgewetzter Sessel in einer der vielen Nischen mit
Fenster, die den Raum wie eine mittelalterliche Kemenate wirken
ließen. Das drückende Schweigen, welches sich um jeden legte, der
durch die Flügeltür hereintrat. So hatte Cat die große
Zentralbibliothek in Erinnerung. Sie war einige Male mit Jake hier
gewesen und wusste immer nicht so recht, ob diese Stimmung etwas
feierliches oder etwas bedrohliches haben sollte. Jake hatte nach
einer kurzen Diskussion mit Eleni, der Bibliothekarin den Hauptraum
verlassen und war über eine Wendeltreppe und durch mehrere
Abbiegungen in einen kleineren Bereich auf der Galerie gekommen, in
dem sich sämtliche Werke über die Runologie befanden. Als Cat die
Regale erblickte, verließ sie der Mut. Sie hoffte inständig in den
ersten Büchern einige Informationen über die seltsamen Zeichen zu
finden, die sie allmählich zu verfolgen begannen.
Sie waren schon eine
Weile zwischen den Regalen hin und her gegangen und hatten die
Bücher, welche am vielversprechendsten waren alle zu einem Tisch
gebracht. Jake hatte sich mittlerweile hingesetzt und begann den Berg
durchzuarbeiten. Cat war wieder zwischen den Buchreihen verschwunden
und suchte weiter. Sie hatte sich einen langen Pullover anziehen
müssen, um die mit schwarzer Tinte besiegelten Wunden an ihrem
Handgelenk verstecken zu können, denn die Mullbinde, die sie darum
gewickelt hatte, hatte die Blicke Anderer erst recht darauf gezogen.
Als sie zwischen
zwei Regalen hervortrat, die sie bereits abgesucht hatte, erhaschte
sie einen Blick auf Jake und sie dachte an den Kuss zurück. Sie
hatten nicht noch einmal darüber gesprochen, aber es schien ein
unausgesprochenes Einverständnis zwischen ihnen zu geben, ihn –
zumindest vorerst – nicht zu erwähnen. Aber etwas hatte sich
zwischen ihnen verändert und beide spürten es. Er war in seine
Arbeit versunken, also bog sie in die nächste Reihe Regale ab.
Die Bücherthemen
hatten hier offenbar den eurasischen Raum verlassen und Cat glaubte
fast, hier keine weiteren brauchbaren Informationen zu finden, als
sie einen Titel las, der sie innehalten ließ: „Der Ursprung
inkaischer Runen“. Instinktiv griff sie danach und zog den alten
Band von dem Brett. Sie überflog den Inhalt, aber die
Kapitelüberschriften halfen ihr nicht weiter, also blätterte sie
weiter bis zum Vorwort. Der Satzbau war langatmig und ineinander
verschachtelt und obwohl ihre Konzentration schon lange nachgelassen
hatte verstand sie allmählich, wonach sie suchen musste. Sie war so
vertieft in den Text gewesen, dass ihr erst in diesem Moment auffiel,
woher dieses seltsame Gefühl kam, dass sie seit einigen Minuten
beschlichen hatte. Jemand beobachtete sie...
Sie blickte
überrascht auf, um nach der Person zu suchen und stellte fest, dass
sie niemanden finden konnte. Weil das Buch in ihren Händen
allmählich schwer wurde, ging sie hinüber zu Jake und legte es
zuoberst auf den Stapel mit Abhandlungen. Er blickte nicht einmal
auf, so vertieft war er in dem Text, der vor ihm lag. Gerade, als sie
in den Gang zurückkehren wollte, in dem sie das Buch gefunden hatte,
als sie ihn bemerkte. Er saß in einem der alten Sessel und schien
beinahe fließend in die Dunkelheit der Nische über zu gehen, wären
da nicht seine Augen gewesen... Mitten in den Schatten seines
Gesichts langen sie schimmernd wie Saphire. Das Blau war so eisig und
klar, dass ihr für einen Moment der Atem stockte und sie beinahe
vergessen hätte warum sie da stand. Er sah sie an, fixierte sie
geradezu, doch niemand sonst schien ihn oder die Tatsache, dass er
sie wie ein Besessener anstarrte zu bemerken.
Verunsichert blieb
sie stehen und blickte ihn an. Doch nach einiger Zeit löste sie sich
auch ihrer Starre und bog wieder in die Regalreihe ein, in der sie
noch weitere brauchbare Bände vermutete. Aber sie kam nur langsam
voran, weil jedes Buch anders aufgebaut und die Schrift teilweise
verblasst war. Allmählich verließ sie der Mut. Sie stellte das
gefühlt hundertste Buch gerade wieder zurück ins Regal, als sie
einen kalten Hauch im Nacken spürte und als sie aufblickte stand er
neben ihr. Sie war so überrascht, dass sie das Buch fallen ließ.
Doch mit einer geschmeidigen Bewegung fing er es auf und stellte es
an seinen Platz zurück ins Regal.
Cat war zu
überrascht, um zu reagieren. Sie starrte ihn nur an und hatte das
Gefühl ihn zu kennen, doch sie konnte sich an nichts erinnern. Seine
Haut war ebenmäßig und sein Gesicht wirkte wie aus Marmor
geschlagen. Eingerahmt wurde es von dichtem, schwarzem Haar. Doch am
faszinierendsten waren seine Augen. Seine Miene schien steinern,
während seine Augen beinahe leuchteten und sie anzulächeln
schienen. Gerade, als sie zurück lächeln wollte, fuhr ein Stich in
die Stelle am Handgelenk und im nächsten Moment sah sie sich wieder
vor Jakes´ Wohnungstür und sie spürte erneut die panische Angst
aufsteigen, die sie in diesem Moment befallen hatte. Sie schnappte
nach Luft und riss die Augen auf, um die Erinnerung mit Macht zu
verdrängen und es funktionierte zu ihrer Überraschung, aber auch er
war verschwunden. Sie sah sich um, doch ihr war nur der Schmerz
geblieben, der nun langsam ihren Unterarm hinaufkroch.
Besorgt sah sie
sich noch einmal um und ging dann langsam zu Jake zurück. Er war so
in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht aufsah als sie an den
Tisch herantrat. Erst als sie ihn mit brüchiger Stimme ansprach,
blickte er – fast widerwillig – auf und sein Gesichtsausdruck
änderte sich beinahe schlagartig.
„Was ist los?!
Ist etwas passiert?“
„Das muss ich
dir später erzählen. Ich habe nichts mehr gefunden.“
„Du bist ganz
blass, ist alles okay?“
Sie nahm die Hand
vor die Brust und versuchte den Schmerz zu ignorieren, der ein
eigenartiges Wärmegefühl unter dem Verband hinterließ. Sie warf
einen kurzen Blick darauf und bemerkte, dass sich die weißen Lagen
Mull langsam aber sicher wieder mit Blut tränkten; eilig zog sie den
Ärmel darüber und blickte Jake an der die Stirn runzelte.
„Was hast du
bis jetzt gefunden?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Leider nicht
viel. Ich komme nur langsam voran.“, brummte er und fügte
nach einer kurzen Pause hinzu: „Du solltest den Verband wechseln.
In meinem Rucksack sind frische Mullbinden.“
Sie nickte nur
stumm, kramte das Gesuchte hervor und verschwand in Richtung
Toiletten. Jake blickte ihr besorgt nach und machte sich schließlich
wieder an die Arbeit.
Cat schaute sich
in dem alten Spiegel an und versuchte zu verstehen, wer sie daraus
ansah. Sie nahm alles so seltsam scharf wahr. Ihre Haare schienen
noch auffälliger, die Ringe unter ihren Augen noch dunkler und das
seltsame Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war, noch deutlicher zu
sein. Irritiert blinzelte sie, als ihr wieder einfiel, was sie hier
überhaupt wollte. Langsam und mit leicht zitternden Fingern wickelte
sie die Binde von ihrem Handgelenk. Als sie endlich fertig war, warf
sie den Mull auf den Rand des Waschbeckens und versank beinahe im
Anblick des mit ihrem Blut getränkten Haufen weißen Stoffes, bis
sie ein seltsames Gefühl aus den Gedanken riss.
Sie starrte auf
ihr Handgelenk und erkannte, dass einer der kleinen Blutstropfen, die
sich rings um die schaurigen, schwarzen Ornamente auf ihrer Haut
bildeten, ein rotes Rinnsal auf ihrem Unterarm hinterlassen hatte.
Das Blut glänzte ungewöhnlich dunkel. Fast wie mit schwarzer Tinte
vermischt. Plötzlich konnte sie den Anblick nicht mehr ertragen,
drehte kurzerhand das Wasser auf und hielt ihr Handgelenk darunter.
Im nächsten
Moment explodierte der Schmerz darin. Sie schrie gellend auf und
taumelte, wie vom Schlag getroffen, rückwärts vom Waschbecken weg,
bis sie mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand stieß.
Fassungslos starrte sie auf ihren Unterarm und meinte ein leises
Zischen zu hören, während winzige Dampfschwaden davon aufstiegen.
Sie glaubte den Verstand zu verlieren, doch Sekunden später war der
Spuk vorbei und auf ihrem Handgelenk prangten nur noch die rot
umrandeten, schwarzen Muster. Der Schmerz schien dumpf von ihrem Arm
bis in den Kopf zu pochen. Benommen wickelte sie die frische Binde
darum, verließ aschfahl die Toilette und kehrte zu Jake zurück.
Als sie mit dem
Auto durch das Stadtzentrum zurück zu Jakes´ Wohnung fuhren,
versuchte Cat sich das Gesicht des Fremden wieder ins Gedächtnis zu
rufen. Aber sie war so erschöpft, dass beinahe alles an seinem Bild
verschwamm. Alles – bis auf seine Augen. Dieser Blick mit dem er
sie fixiert hatte, ließ sie nicht mehr los. Dieser Blick mit dem er
sie fixiert hatte, ließ sie nicht mehr los. So hing sie lange Zeit
schweigend ihren Gedanken nach. Schließlich schien sie plötzlich
förmlich zu erwachen. Sie schaute verwundert auf die Uhr im
Armaturenbrett und bemerkte, dass Jake hinter einem haltendem Bus
stand und sie deshalb warten mussten. Sie beobachtete die Menschen
auf dem Bürgersteig und erschrak auf einmal so sehr, dass sich ihr
Körper verkrampfte.
An eine Hauswand
gelehnt, neben dem Bus stand er wieder und beobachtete sie
aufmerksam. Er schien beinahe ein wenig fasziniert von ihr. Sie
schnappte nach Luft, sodass Jake aufsah und ihr überrascht den Kopf
zuwandte, als der Bus vor ihnen gerade mit einem Ruck anfuhr und der
verkehr sich wieder in Bewegung setzte. Entsetzt starrte sie den
Fremden an, bis Jake an der Kreuzung abbog und er damit aus ihrem
Blickfeld verschwand. Ihr wurde schwindlig und sie spürte, wie die
Wunde an ihrem Handgelenk die Binde stetig und unaufhaltsam mit dem
dunklen, schwarz-rotem Blut tränkte.
Erst jetzt fasste
sie sich ein Herz und begann stockend von den Ereignissen in der
Bibliothek zu erzählen. Jake hörte schweigend zu und als sie fertig
war, parkte er gerade vor dem Wohnblock. Sie blickte ihn hilfesuchend
an.
„Komm erstmal
mit nach oben. Du solltest dich unbedingt hinlegen, so blass wie du
schon wieder aussiehst.“
„Okay. Danke!“,
antwortete sie nur und schweigend machten sie sich auf den Weg nach
oben. Der nächste Schreck erwartete sie an Jakes Wohnungstür. Das
Runenmuster, welches noch vor wenigen Stunden auf dem Lack zu sehen
gewesen war, war verschwunden. Der Lack schien vollkommen unversehrt,
so als hätten die schwarzen Linien nie existiert. Cat fühlte sich
immer unwohler. Unsicher betrat sie die Wohnung, während Jake noch
die Tür untersuchte.
„Wie kann es
sein, dass man von diesen komischen Zeichen nicht einmal mehr
Schatten sieht?“, fragte Jake von der Tür aus.
„Ich weiß es
nicht. Aber es waren definitiv dieselben Zeichen wie auf dem Zettel,
den ich in der Höhle bekommen habe.“
„Bist du
sicher, dass dieser Zettel für dich gedacht war?!“
„Wenn du damit
indirekt nach Beweisen fragst; ich habe keine.“
„Heißt also,
dass dieser Terror auch mir gelten könnte...“
„Ich weiß
nicht. Irgendetwas sagt mir, dass ich diese Symbole schon einmal
gesehen habe.“
„Bleibt nur
noch die Frage, wo und was sie bedeuten.“, schloss Jake mit einem
Seufzen.
Cat hatte sich auf
des Sofa fallen lassen. Sie hatte sich selten so erschöpft gefühlt,
wie heute. Da sie Jake durch die Lehne hindurch nicht sehen konnte,
lauschte sie ganz den Geräuschen des Hauses. Als er die Tür endlich
schloss, klang alles nur noch gedämpft.
„Soll ich Tee
kochen?“ fragte er, während er den Wohnungsschlüssel auf die
Kommode warf.
„Danke, hast du
noch deinen Minztee?“
„Klar.“
„Also wenn ich
den Tag heute zusammenfassen darf, um einen...“ Sie brach ab, als
ein Hustenanfall ihren Körper zittern ließ. Jake steckte
stirnrunzelnd den Kopf durch die Tür des Wohnzimmers und musterte
sie aufmerksam. Ihm gefiel diese Geschichte ganz und gar nicht.
Still lächelte er
in sich hinein. Es amüsierte ihn, wie fassungslos die Novizin ihn in
ihrer Unwissenheit angestarrt hatte. Es würde nicht mehr lange
dauern bis das Gift seine Wirkung in ihrem Körper vollends entfaltet
hatte und dann hätte sie ihm auch nichts mehr entgegen zu setzen und
er könnte seinen Auftrag vollenden. Er musste in der Tat vorsichtig
sein. Man hatte ihn gewarnt, durch ihren langen Aufenthalt außerhalb
könne man das Ausmaß ihrer Kräfte nicht einschätzen, geschweige
denn ihre Kontrolle darüber.
Schon als er sie
beobachtet und alles in die Wege geleitet hatte, war ihre Macht zu
spüren gewesen. Sie verbarg sie nicht. Und allen Unwissenden flößte
dies unterschwellig Respekt und Ehrfurcht ein. Das war einer der
Gründe, weshalb sie nur wenige soziale Kontakte unterhalten hatte.
Aber es erleichterte seine Aufgabe. Je weniger Menschen nach ihr
suchen würden, desto besser.
Er hatte wieder
auf seinem Beobachtungsposten Stellung bezogen und sah durch die
Fensterfront, wie sie sich auf dem Sofa niederließ. Sie sah blass
aus.
„Gut.“,
dachte er. „Ihr Freund kann sie noch so umschwärmen, das wird
sie nicht retten...“
Herablassend
beobachtete er das abendliche Treiben in der Wohnsiedlung doch sein
eigentliches Interesse galt ihr, wenngleich sie sich auch kaum noch
regte. Erst lag sie noch auf dem Sofa und sprach mit Jake, dann
verschwanden beide aus dem Wohnzimmer. Er in die Küche und sie ins
Badezimmer. Ihm fiel die Wirkung des Giftes wieder ein und fast tat
sie ihm leid. Schließlich hatte sie keine Ahnung davon, wie heftig
das Mal mit Wasser reagieren konnte. Er vermutete, dass sie erneut
ohnmächtig werden würde und war schon gespannt auf das Gesicht
ihres Freundes.
Umso erstaunter
war er, als sie mit tropfenden Haaren, in ein Handtuch gewickelt
wieder ins Wohnzimmer tappte. Zwar war sie noch bleicher als sonst,
doch sie stand aufrecht und zitterte nicht. Sie zog sich hinter der
Schranktür versteckt um und nahm dann wieder ihren Platz auf dem
Sofa ein. Nur wenige Minuten später war sie eingeschlafen. Als Jake
sie aus der Küche kommend so sah, hob er sie vorsichtig auf und trug
sie ins Schlafzimmer.
Mit gewissem
Argwohn reckte er seine Glieder und stand von seinem
Beobachtungsposten auf. Verärgert machte er sich auf den Weg zu dem
zweiten Posten. Sein Auftrag war in dieser Hinsicht eindeutig und er
konnte sich keine Fehler leisten. Auf halbem Wege wurde er so abrupt
überrascht, dass sein Körper eine Millisekunde länger brauchte,
als sonst. Wie sich herausstellte zum Glück des Anderen, der sich
ihm in den Weg stellte. Es hätte sein Ende sein können.
Es war ein
Läufer. Er kannte ihn und nachdem er die an ihn gerichtete Botschaft
in Empfang genommen und seinen Bericht abgegeben hatte, verschwand
die Gestalt wieder geräuschlos in den Schatten. Er selbst bezog
seinen neuen Posten und begann mit der Wache.
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