Sie ging geradeaus weiter
und war mit zwei Schritten aus dem kleinen Flur heraus, während Jake
nach rechts in die Küche abbog.
Jake war seit jeher
keiner der Menschen gewesen, die penibel Ordnung hielten. Gerade
jetzt fühlte sie sich in dem kleinen, aber geräumigen Raum wohl,
wähnte sie sich doch durch die umher liegenden Blätter und anderen
Sachen sofort an längst vergangene Tage erinnert. Jake nutzte diesen
Raum zum Arbeiten und als Wohnzimmer. Sie hörte, wie er in
der Küche einen Topf auf den Herd setzte und mit Löffeln und Tassen
klapperte.
In der Wohnung nebenan
hörte jemand Musik, sonst war es still. Sie ließ sich auf das Sofa
fallen, auf dem Jake sonst schlief. Sein Kissen lag noch auf dem
Laken und die Decke war zerknautscht auf den Boden gefallen. Sie ließ
den Blick durch den Raum schweifen. Über das Regal, in dem seine
sämtlichen Bücher standen. Ihr Blick wanderte weiter und blieb an
einem Aquarell hängen, das Jakes Mutter vor Jahren gemalt hatte. Es
zeigte einen Sonnenuntergang in der Afrikanischen Savanne. Der
komplette Raum spiegelte Jakes Liebe zu dem fernen Kontinent wider.
Die Wände waren in warmen Braun- und Rottönen gestrichen, Und als
es sich angeboten hatte, das Holz im Zimmer zu streichen, hatte er
alles in dunkle Mahagoni-töne getaucht. Sie selbst hatte ihm zum
Geburtstag einen Terrakotta-farbenen Bezug für sein Sofa genäht.
Als sie gedankenverloren über den weichen Stoff strich, fiel ihr
auf, dass die Tür des beinahe antik wirkenden Kleiderschrankes offen
stand. Ein farbiges Stück Stoff hing heraus.
Als sie aufstehen wollte,
um die Tür zu schließen, kam Jake mit zwei dampfenden Tassen ins
Zimmer. Er stellte die Tassen auf den Tisch neben dem Sofa. Als er zu
ihr aufsah, wirkten seine Augen unheimlich dunkel. Eine Sekunde
später blinzelte er und seine Augen wirkten wie immer; vertraut und
verständnisvoll. Er griff nach seiner Decke, faltete sie zusammen
und verstaute sie im Kasten unter dem Sofa. Das Kissen ließ er
liegen. Sie selbst stand währenddessen immer noch verloren mitten im
Raum. Jake musste geahnt haben, was sie vorhatte, denn er ging um den
Tisch herum und drückte sie im Vorübergehen sanft in Richtung Sofa,
schloss die Schranktür und setzte sich zu ihr.
Die Tasse in ihrer Hand
war heiß und es duftete süß nach Schokolade. Sie wusste nicht
genau, wie Jake das Getränk kochte, aber es schmeckte
unverwechselbar gut. Ihre Mutter hatte selbst...
Erschrocken brach sie den
Gedanken ab. Sie hatte keine Eltern...! Dieser Satz hallte, ohne,
dass sie den Sinn begreifen konnte, in der Leere ihres Kopfes wieder.
Müde lehnte sie ihren Kopf an Jakes´ Schulter. Der einzige Halt,
der ihr gerade geblieben war!
Als Jake erwachte, war es
fünf vor 3 Uhr. Nachts.
Er spürte, dass seine
Muskeln verspannt waren und schmerzten. Als er sich aufrichtete, sah
er, dass Cat zur Seite gekippt war und schlief. Einige Haarsträhnen
waren ihr ins Gesicht gefallen. Er strich sie zur Seite und sah, wie
ihre Augen unter den Lidern sich schnell hin und her bewegten. Zwei
Rinnsale aus weißen, feinen Kristallen zogen sich ihre Wangen
herunter. Sie zeugten von den Tränen, die, nachdem sie alles erzählt
hatte, die Wangen herabgelaufen waren. Sie hatte Albträume... Kein
Wunder!
Er seufzte, nahm seine
Decke und legte sie ihr über die Beine. Danach rutschte er auf den
vorderen Rand des Sofas und schaltete seinen Laptop an. Seit Cat ihm
den Grund für ihre Aufgelöstheit erzählt hatte, hatten sich eisige
Krallen um sein Herz gelegt, die gleichzeitig danach schrien,
irgendetwas zu tun, um ihr zu helfen. Bloß was?!
Er öffnete seinen
Browser und setzte den Cursor in die Zeile der Suchmaschine. Seine
Finger schwebten über der Tastatur, als er sich selbst fragte,
wonach er überhaupt suchen sollte... Er konnte ja wohl kaum eine
Annonce ins Internet stellen: Suche Eltern, die ihre Tochter bei
Familie Mash abgegeben haben! Bitte unter folgender Nummer melden:…
- Wie schwachsinnig, von ihm zu glauben, er könne Cats Probleme mit
einer halben Stunde surfen beheben! Er seufzte. Sein Nacken schmerzte
und er versuchte angestrengt, sich etwas einfallen zu lassen. Doch
wie immer, wenn man krampfhaft nach einer Idee sucht, kommen einem
die absurdesten Einfälle in den Kopf.
Lustlos durchstöberte er
seine Bilder, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, dass ihm helfen
würde... Er schaute in einem Ordner gerade Bilder von ihrem
Kindergeburtstag an. Lächelnd erinnerte er sich an die Spiele, die
sie an diesem Tag gespielt hatten. Plötzlich hörte er den
Vibrationsalarm ihres Handys. Er schaute sich um. Gerade, als er das
leuchtende Display entdeckt hatte, begann ihr Lieblingslied zu
spielen. „Komm, lass dich von mir entführen...“, weiter kam
Farin Urlaub nicht, denn Jake hatte das Telefon erreicht und im Eifer
des Gefechts einfach das Gespräch angenommen. Womöglich ein Fehler!
Zu spät las er den Namen des Anrufers, denn im nächsten Moment
ertönte schon eine Stimme.
„Hey!“
Es war keine fröhliche
Begrüßung, sondern eine sonderbare Mischung aus melancholischer
Ruhe und Mitleid. Er kannte diese Art der Begrüßung nur zu gut,
ebenso, wie er auch wusste, dass Cat diese Art mindestens so sehr
hasste wie er selbst. Jake holte Luft, um zu antworten, doch Sam kam
ihm zuvor.
„Sorry, ich weiß,
wie spät es ist, aber ich weiß auch, wie beschissen diese ganze
Aktion von mir war! Du musst mich doch verstehen. Ich konnte einfach
nicht mehr. Die ganze Sache hat mich einfach so fertig gemacht. Es
war dumm, so aus dem Affekt heraus zu handeln und als ich jetzt
drüber nachgedacht hab, hab ich gemerkt, dass du mir einfach zu
wichtig bist, um einfach so Schluss zu machen. Ich brauch dich!“
„Entschuldige, Sam,
hier ist Jake. Cat schläft gerade. Ich glaube auch, dass es besser
ist, wenn du sie erst mal für eine Weile in Ruhe lässt.“
„Oh...“, Sams
Stimme war merklich kühler geworden. „Was machst du denn mit Cats
Handy?“
„Wie gesagt, sie
schläft. Und ihr geht es nicht sehr gut. Wenn du also aufhören
würdest, sie mitten in der Nacht anzurufen, wäre ich dir schon sehr
dankbar!“
Für einen Moment war
Stille am anderen Ende, dann seufzte Sam laut hörbar.
„Na schön, dann
versuch ich es später nochmal... Ciao.“
Jake starrte für einen
Moment auf das Display und wusste nicht, was er davon halten sollte.
Da fiel ihm die Uhrzeit ins Auge. Hatte er tatsächlich 3 Stunden vor
dem Laptop gesessen? Es war tatsächlich kurz nach 6 Uhr. Er seufzte,
richtete sich auf und ging wieder zum Sofa hinüber, auf dem Cat
immer noch schlief. Jedoch schien ihr Albtraum zu Ende zu sein, denn
sie lag ruhig da. Wieder dem Laptop zugewandt, klickte er sich weiter
durch die Galerie. Einige Zeit später – er wusste nicht genau, wie
lange – spürte er Cats Blick in seinem Rücken.
„Was machst du da?“,
wollte sie wissen.
„Ich weiß es selbst
nicht so genau... ich dachte, ich würde irgendetwas finden...“
„Was denn?“
„Etwas, das dir
helfen könnte... ich weiß es auch nicht...“
„Aha. Wie spät ist
es?“
„Kurz nach sechs.
Hast du Hunger?“
„Naja...“
„Also mach ich uns
was. Die Bäckerei wird gerade öffnen. Du kannst dich ja nochmal
hinlegen, ich werde in 10 Minuten wieder da sein.“
„Okay.“
Sie ließ sich wieder auf
das Kissen fallen und zog die Beine an den Körper. Jake machte sich
nicht die Mühe, die Galerie zu schließen, sondern klappte den
Laptop einfach zu, nahm sein Portmonee und den Wohnungsschlüssel und
ging. Als er wiederkam, war Cat wieder eingeschlafen. Er schlich sich
in die Küche und kochte noch einmal Kakao.
Nach einer Viertelstunde
hatte er ein Tablett mit zwei Tassen Kakao, frischen Brötchen und
Aufschnitt zurecht gemacht, das er nun möglichst leise ins
Wohnzimmer balancierte. Zu allem Überfluss, war der kleine Tisch im
Wohnzimmer voller Blätter, sodass er das Tablett klirrend auf dem
Boden absetzten musste, um Platz für das Frühstück zu schaffen.
Dabei wachte Cat auf.
Gute fünf Minuten später
saßen sie, einander gegenüber am Tisch und nippten an ihren Tassen.
Jake wollte ein möglichst unbefangenes Gespräch anfangen, doch
seine Gedanken kehrten immer wieder zu der schrecklichen Wahrheit
zurück, die Cat anscheinend noch bis in ihre Träume hinein verfolgt
hatte. Sie schien es zu merken und fragte schließlich:
„Gibt es irgendetwas
Neues?“
„Du hattest heute
Nacht einen sehr interessanten Anrufer!“
DAS war der falsche Satz
gewesen... Cat verschluckte sich an ihrem Brötchen und fing an zu
husten. Er bereute schon, kurz bevor er den Satz überhaupt zu Ende
gesprochen hatte, dass er dieses Thema angeschnitten hatte. Wie
konnte er nur so dumm sein!
„Wie bitte?“,
fragte sie, als sie ein paar Mal tief Luft geholt hatte und schaute
ihn durchdringend an.
„Sam hat angerufen.“
Diese 3 Worte schafften
es, sie noch bleicher werden zu lassen. Obwohl sie von der Nacht
dunkle Ringe unter den Augen hatte, schien nun auch noch das letzte
Bisschen Farbe aus ihren Wangen zu weichen. Jake hätte sich am
liebsten selbst geohrfeigt.
„Ich kann mir
vorstellen, was er von mir wollte...“, murmelte Cat scheinbar nach
einer Unendlichkeit. Sie hatte den Blick gesenkt und rührte lustlos
in ihrer Tasse herum.
„Es tut mir leid, ich
wollte nicht, dass er dich weckt und darum hab ich das Gespräch
schnell angenommen. Dummerweise, ohne darauf zu achten, wer dich
anruft...“
„Jake, es ist
okay... Er hat jetzt schon das dritte Mal versucht mich anzurufen.
Wenn er das nächste Mal anruft, kannst du ihn ruhig wegdrücken. Ich
will endlich damit abschließen...“ Sie wirkte bedrückt.
Schweigend saßen sie am Tisch. Sie hatte aufgehört zu essen und als
sie so zusammengesunken auf dem Sofa saß, meinte Jake zu sehen, wie
mager sie geworden war. Durch das blasse Gesicht und den leeren
Blick, wirkte sie so fragil, dass Jake beinahe Angst hatte, sie könne
bei der kleinsten Erschütterung zerbrechen.
Nach einer Weile wagte er
schließlich zu fragen: „Was willst du jetzt eigentlich machen?“
„Wenn ich das wüsste,
wäre ich um einiges weiter...! Ich fühl mich nicht wohl dabei, aber
ich will wissen, warum das alles so passiert ist! Das ist doch nicht
normal! Wieso werde ich von Menschen erzogen, die nicht mal wirklich
wissen, wer ich bin? Und das Beste dabei ist: Warum sagen sie mir das
ausgerechnet jetzt? Und vor allem: warum so??? Das kann doch nicht
wahr sein! Sie hätten können einfach schweigen und mein Leben wäre
normal weiter gegangen... Ich hatte doch keine Ahnung!...“
Während der letzten
Sätze war sie aufgesprungen und im Zimmer hin und her getigert. Nun
holte sie zitternd Luft und sah Jake ins Gesicht. Sie hatte recht,
dachte er, aber was wollten sie machen? Dieser Gedanke erinnerte ihn
an seine mehr oder weniger sinnvolle Beschäftigung diese Nacht. Es
brachte nichts, sich den Kopf weiter nach Möglichkeiten zu
zermartern. Aber was, überlegte er plötzlich, wenn sie wirklich
etwas herausfanden? Der Absurdität des „Zufalls der Umstände“
zufolge, musste die Wahrheit noch unglaublicher ausfallen. Konnte Cat
das verkraften?!
Er holte Luft und wollte
gerade ansetzen zu antworten, als es klingelte. Jake stand auf, um zu
der Sprechanlage zu gehen, während Cat sich müde auf das Sofa
fallen ließ. Er nahm den Hörer ab.
„Hallo?“
„Mach die Tür auf
Jake, oder wir holen die Polizei! Wir wissen, dass Cassandra bei dir
ist!“
Es war Cats „Vater“.
Jake zögerte.
„Jetzt mach endlich
die Tür auf!“
Nach einer Sekunde
weiteren Zögerns drückte er den Schalter und die Haustür öffnete
sich. Aus dem Wohnzimmer erklang Cats Stimme:
„Wer war das denn?“
„Mach dir keine
Sorgen, ich regle das!“, meinte er nur nervös und ging, ohne
weitere Fragen abzuwarten hinaus ins Treppenhaus, um seinen Besucher
abzufangen. Er zog die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Unter
sich hörte er Schritte. Schweigend und sich um ein gleichgültiges
Gesicht bemühend lauschte Jake den hallenden Tritten, die sich mit
den Geräuschen aus den neben liegenden Wohnungen vermischten.
Jake dachte an den
Wohnungsschlüssel in seiner Hosentasche und daran, dass Cats „Vater“
diesen auf keinen Fall in die Hände bekommen dürfte. Unwillkürlich
steckte er die Hände in die Taschen. Er hoffte inständig, dass Cat
so klug sein würde, nicht die Tür zu öffnen, sollte dieses
Gespräch länger dauern, als erwartet, als er auch schon die
schwarze Krempe des ihm allzu bekannten Hutes auf der Treppe
entdeckte. Erstaunt stellte er fest, dass William Mash in Begleitung
seiner Frau war. Sie folgte ihm sichtlich beunruhigt in wenigen
Schritten Abstand. Als Mr. Mash nach oben blickte und Jake dort
seelenruhig stehen sah, verdüsterte sich seine so schon finstere
Miene noch mehr. Die beiden erreichten den Treppenabsatz und Jake
spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Wäre die Situation nicht
so heikel, hätte es fast amüsant aussehen können, denn er stellte
fest, dass auch Mr. Mash mit seinem Kiefer malmte. Caroline, Cats
Mutter schnappte nach Luft. Nach einer schieren Unendlichkeit setzte
William an:
„Na schön. Wo ist
sie?“
Auf einmal spürte Jake
nur noch Verachtung für den alternden Mann, der da vor ihm stand,
wie der klägliche Versuch eines Lemurs, sich auf die Größe eines
Gorillas aufzuplustern. Er wusste zwar nicht, woher ihm gerade dieser
Gedanke gekommen war, aber er musste darüber schmunzeln, was zur
Folge hatte, dass sein Gegenüber noch grimmiger aussah. Dennoch
musste er all seinen Mut zusammennehmen, um das zu sagen, was er
dachte...
Cat lauschte. Die Tür
fiel ins Schloss und sie war wieder allein in der Wohnung. Doch Jake
schien vor der Wohnung stehen zu bleiben. Als sie nach einiger Zeit
immer noch nichts hörte, schlich sie sich in Socken in den Flur
hinaus.
Sie schaute durch den
Spion nach draußen, konnte aber nichts weiter als Jakes dunklen,
zerzausten Haarschopf sehen.
Wieso steht er
direkt vor der Tür?
Sie legte das Ohr an die Tür, um irgendwelche Anhaltspunkte zu
bekommen, was da los war, als sie die Stimme hörte, die sie
erstarren ließ.
„Na schön. Wo ist sie?“
Entsetzt fuhr sie zurück. Was will er noch hier?! Hat er nicht
schon genug angerichtet? Plötzlich hörte sie, wie Jake anfing
zu sprechen. Ruhig und mit einer eisigen Gelassenheit, die sie
erschaudern ließ. Es war nicht klug, sich mit William Mash
anzulegen, besonders dann nicht, wenn er wütend war, aber Jakes
Stimme war so fest, dass scheinbar auch ihrem „Vater“ der Atem
stockte. Und auf einmal begriff sie. Jake wollte diesem Mann nicht
nur kräftig die Meinung geigen, sondern vor allem ihr helfen!
Sie wandte sich um und lief, so schnell sie konnte ins Wohnzimmer, um
alle Spuren zu beseitigen, die darauf hindeuten könnten, dass sie
die Nacht hier verbracht hatte. Jetzt zahlte sich das harte Training
aus, dass Jake und sie immer zusammen im angrenzenden Park
durchgezogen hatten. Beinahe lautlos, packte sie das Bettzeug in die
Schublade und räumte das Frühstück in die Küche. Dann zückte sie
ihr Handy und wählte die Funktion, welche Jake programmiert hatte:
eine Nachricht, welche sich nach dem Öffnen nach einer Minute
löscht, ohne Spuren zu hinterlassen. Hastig tippte sie eine
Nachricht ein und sendete sie an sein Handy:
Bin im Park.
Eichenstamm. Höhle.
Warte dort auf dich.
C
Dann schnappte sie
sich Jakes Tarnjacke und kletterte aus dem Fenster, von dem aus man
zur Feuerleiter an der Hinterseite des Hauses gelangte. Bevor sie
sich auf das Raster fallen ließ, verriegelte sie durch einen
versteckten Mechanismus das Fenster von außen und eilte lautlos über
die Treppe nach unten. Vor dem letzten Treppenabschnitt schwang sie
sich über das Geländer und sprang auf die Wiese.
So schnell sie
konnte überquerte sie die Wäscheplätze, kletterte über den Zaun
des Parks und verschwand im schützenden Dickicht.
Jake und sie waren
unzählige Stunden durch den Wald hier gestrichen und hatten jeden
Winkel erkundet. Bei einem der Streifzüge hatten sie entdeckt, dass
bei einer der ältesten Eichen der Stamm durch einen Blitzschlag hohl
war. Als sie die Borke beiseite gebogen und sich hinein gezwängt
hatten, waren sie eingebrochen und hatten eine Höhle im Wurzelwerk
des riesigen Baumes entdeckt.
Irgendwann war ihnen
die Idee gekommen, dort ein Geheimversteck einzurichten und jenes
durch Netze vor den anderen Bewohnern des Parks zu schützen. Sie
hatten Decken und Proviant dorthin geschleppt, und einmal sogar dort
übernachtet, was Cat am nächsten Morgen allerdings eine deftige
Strafe von ihren Eltern eingebracht hatte.
Die Morgensonne
bahnte sich den Weg durch das Blätterdach und zu Cats Freude waren
nur sehr wenige Menschen im Park unterwegs, sodass sie ungesehen zu
der Eiche und in die Höhle gelangte. Sie ordnete die Decken und
setzte sich in den hintersten Winkel, von wo aus sie den Eingang gut
im Blick hatte. Die Geräusche des Waldes drangen nur gedämpft
herein.Müde lehnte sie sich an die Höhlenwand. Kurz darauf war sie
eingeschlafen.
Jake holte Luft und
verstummte. Er war erstaunt über sich selbst, dass er jemals diesem
Mann alle diese Dinge an den Kopf geworfen hatte, aber noch
erstaunter schien Mr. Mash zu sein. Caroline war noch bleicher
geworden und schaute ihn flehend an.
„Lass uns
hinein, oder wir rufen die Polizei!“, William Mash konnte sich
scheinbar nur mit Mühe beherrschen. Aber seine Stimme war nicht mehr
so sicher, wie zu Beginn dieses „Gesprächs“. Er wollte gerade
ansetzen, etwas zu sagen, als er sein Handy in der Hosentasche
vibrieren spürte. Eine Sondernachricht. Die konnte nur von Cat sein,
also musste sie es irgendwie geschafft haben, zu verschwinden. Er
konnte nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken, also sagte er nur:
„Sie ist nicht
hier.“
„Das glaube ich
nur, wenn ich es sehe.“, brummte Mr. Mash.
„Bitte, wir
verschwinden dann gleich wieder.“ meldete sich nun auch dessen Frau
zu Wort.
Jake seufzte
theatralisch und schloss die Wohnungstür auf.
Während die beiden
einige Schritte in die Wohnung hinein machten, zog er schnell sein
Handy aus der Tasche und öffnete die Nachricht. Kurz nachdem er sie
ein zweites Mal gelesen hatte, verschwand der Text von dem Display
und mit ihm alle Hinweise darauf, wo Cat sich jetzt befand. Er
lächelte selbstzufrieden, dann folgte er seinen „Besuchern“ in
die Wohnung.
Nach einer viertel
Stunde weiteren Suchens, wurde Mr. Mash immer unwirscher. Er hatte
sich alle Räume zeigen lassen, einige Male gegen die Wände
geklopft, um, wie er sagte, Hohlräume auszumachen und Jake sogar
aufgefordert die Schränke zu öffnen. Als er ihn nun fragte, wie die
Schlafcouch auseinander gebaut werden kann, wurde es Mrs. Mash zu
viel. Sie packte ihren Mann am Arm und zerrte ihn in Richtung Flur,
wobei sie zischte:
„Es reicht
jetzt! Sie ist nicht hier. Lass uns gehen, wir haben hier nichts mehr
zu suchen.“
Dieser wollte
protestieren, aber sie fuhr fort:
„Wenn du so
weiter machst, ruft er noch die Polizei wegen Hausfriedensbruch! Wir
haben genug herum gestöbert. Das ist doch lächerlich. Vielleicht
ist sie wieder Zuhause. Komm, wir müssen los! Entschuldige bitte die
Störung, Jake. Wir machen uns nur so fürchterliche Sorgen um sie.
Sie ist seit gestern Nachmittag verschwunden. Vielleicht müssen wir
ihr Handy orten lassen... Bitte melde dich bei uns, wenn du etwas von
ihr hörst!“, und damit hatte sie ihren Mann vor die Tür geschoben
und sich selbst ebenfalls ins Treppenhaus gestellt.
Jake ging zur Tür,
schaute sie an und war hilflos. Er konnte ihr unmöglich sagen, wo
Cat war, aber ihre Sorge war echt und so sagte er nur:
„Ich melde
mich.“
Sie nickte dankbar
und Jake schloss leise die Wohnungstür. Dann ließ er sich seufzend
auf die Couch fallen. Das war wirklich knapp gewesen. Zum Glück
hatte Cat so gut reagiert. Er selbst hatte ihr den Weg über die
Feuerleiter gezeigt und mit ihr hunderte Male geübt, sich auf jedem
Gelände lautlos zu bewegen. Und sie wusste auch, dass der letzte
Treppenabschnitt laut quietschte. Zum Glück...
Er beschloss noch
bis zum Mittag zu warten, bis er sich auf den Weg in den Wald machte.
Er wusste, das Cats Vater nicht so schnell aufgeben würde. Also
klingelte er kurz nach elf Uhr bei Mrs. Scart, einer liebenswürdigen
Rentnerin und fragte sie, ob er sie und ihren Hund in den Park
begleiten solle. Dankbar nahm die alte Dame an. Nachdem sie in der
Abenddämmerung auf einem der Parkwege gestürzt war, war sie nur
noch sehr schlecht zu Fuß und ging kaum noch ohne Begleitung
dorthin.
Im Park angenommen
ließen sie den Hund kurz von der Leine und nachdem Jake ihn ein paar
Mal Stöckchen hatte holen lassen, begleitete er Mrs. Scart zu einer
Parkbank und versprach ihr gleich wieder zu kommen.Außerhalb ihrer
Sichtweite, rannte er so schnell er konnte zwischen den Bäumen
hindurch zu der alten Eiche, hängte die sorgfältig versteckten
Netze aus und zwängte sich in den Stamm hinein.
Cat erwachte davon,
dass ihr etwas schweres auf die ausgestreckten Beine fiel.
Erschrocken fuhr sie hoch und entdeckte zu ihren Füßen einen hellen
Klumpen. Es musste kurz vor Mittag sein, denn die Lichtstrahlen,
welche durch die Löcher im Stamm in die Höhle fielen, waren fast
senkrecht. Sie setzte sich auf und griff nach dem Klumpen. Er
entpuppte sich als Stein, um den ein Stück Papier gewickelt worden
war. Eine Nachricht von Jake,
dachte sie. Aber als sie das Papier abwickelte, um zu schauen, was
darauf stand, wurde ihr klar, dass dieser Text unmöglich von Jake
kommen konnte. Seltsame Runen übersäten das Papier. Sie konnte sie
nicht lesen, aber die gekreuzten Linien kamen ihr irgendwie bekannt
vor. Sie ging zum Eingang im Baustamm, um besser sehen zu können.
Plötzlich fielen
ihr Holzstückchen und Erdklumpen auf den Kopf. Überrascht blickte
sie auf und sprang gerade noch rechtzeitig zu Seite, als auch schon
Jake federnd neben ihr landete. Sie blickte ihn zuerst erstaunt an,
dann wieder auf das Papier und dann wieder ihn. Er schaute ihr in die
Augen und versuchte herauszufinden, was sie dachte.
„Hast du das
herein geworfen?“, fragte sie schließlich.
Er schaute verdutzt
auf das Papier in ihren Händen.
„Nein... Ich bin
gerade mit Mrs. Scart im Park, um keinen Verdacht zu erwecken.“
„Aber woher
kommt das dann? Das kann doch nicht einfach so herein fallen. Es weiß
doch sonst keiner von dem Baum.“
Sie sah besorgt aus.
Jake nahm das Papier und hielt es ins Licht, um zu erkennen, was
darauf stand.
„Komisch...“,
meinte er nur.
Cat seufzte.
„Komm erstmal
mit raus. Du bist ganz schmutzig. Wir können später schauen, woher
das kommt.“
Mrs. Scart grinste
schelmisch, als Jake versuchte, ihr zu erklären, er habe Cat durch
Zufall im Wald getroffen, stellte aber keine Fragen. Gemeinsam
kehrten sie zu dem Wohnkomplex zurück. Cat wusste, dass sie ziemlich
schmutzig aussah, also beeilten sie sich, so gut es ging, um
möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Mrs. Scart sagte nichts weiter,
aber sie sah Cat immer wieder amüsiert von der Seite an. Cat mochte
die Frau. Sie hatte ihnen schon geholfen, als sie noch Kinder waren
und wiedereinmal im Spiel die Rabatte vor dem Mietshaus zur Hälfte
umgegraben hatten.
Im Haus angekommen
verabschiedeten sie sich von der alten Dame und zogen sich in Jakes
eigene Wohnung zurück.
Dort angekommen,
ließ Cat sich erschöpft auf das Sofa fallen.
„Ich lass dir
ein Bad ein.“, meinte Jake und zog sich in das kleine Bad zurück.
Kurz darauf hörte sie das Rauschen von Wasser. Als Jake die Tür
wieder öffnete, zog ein warm-feuchter Dunst durch die Wohnung.
„Ich hab dir ein
Handtuch hingelegt. Wenn du noch mehr brauchst, dann ruf mich.“, er
lächelte sie warm an.
Cat stemmte sich von
dem Sofa hoch und war in diesem Moment so unglaublich glücklich, ihn
zu haben. Mit einem gemurmelten „Danke!“ gab sie ihm einen Kuss
auf die Wange und verschwand in der Schwüle des kleinen Raumes.
Sie genoss das
Wasser in vollen Zügen und als sie das Bad in ein großes Handtuch
gewickelt verließ, hatte er bereits den Tisch gedeckt und stand in
der Küche, wo er kleine Stückchen Fleisch anbriet. Cat stand
einfach nur in der Tür und beobachtete ihn beim Kochen. Sie war so
unbeschreiblich dankbar, bei ihm Zuflucht zu finden, dass ihr der
Gedanke daran die Tränen in die Augen steigen ließ.
Was er wohl gerade
dachte...?
Jake fühlte sich
leer. Nachdem er William Mash endlich hinausgeworfen und Cat aus
ihrem Versteck geholt hatte, war er anfangs froh gewesen, dass die
Sache so glimpflich ausgegangen war. Doch als sie wieder in der
Wohnung waren, wusste er weder was er denken, noch was er fühlen
sollte. Damit er nicht in trübsinnigen Gedanken versank, hatte er
zunächst die Wohnung einwenig in Ordnung gebracht und dann das
Abendessen vorbereitet. Mrs. Scart hatte ihm noch ein wenig frisches
Fleisch mitgegeben und so hatte er genügend damit zu tun, es
zuzubereiten.
Er hatte keine
Ahnung, wie lange sie dort gestanden hatte, denn als er sich kurz
umdrehte stand sie, in ein Handtuch gewickelt mit einem eigenartigen
Lächeln im Türrahmen und beobachtete ihn. Er spürte, wie ihm die
Hitze ins Gesicht stieg. Ohne dass er es wollte, nahmen seine Augen
Details wahr. Ihre von der Wärme geröteten Wangen, ihre noch nassen
Haare, welche sie versucht hatte, in einen Haargummi zu zwängen, die
glänzenden Wassertropfen auf ihren Schultern. All das prägte sich
in Sekundenschnelle in seinem Kopf ein und die Stelle auf seiner
Wange, wo sie ihn geküsst hatte, wurde ihm wieder bewusst.
Schließlich riss
er sich zusammen und sagte:
„Warte, ich hol
dir erstmal ein paar Sachen von mir, dann können wir deine waschen.“
Damit drückte er
sich an ihr vorbei und ging zu dem riesigen alten Kleiderschrank. Er
suchte sein kleinstes T-Shirt und eine Jogginghose heraus und legte
die Sachen auf den kleinen Schrank im Badezimmer.
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